
Es gibt eine Schwelle, an der das Äußere plötzlich still wird.
Der Garten, die Fassade, die Steine – alles bleibt, und doch verschiebt sich die Wahrnehmung.
Die Waldhüterin steht da, fest und unbeweglich – und dennoch beginnt etwas Neues: Sie verwandelt sich in eine Stimme.

Es ist kein gesprochenes Wort, keine Sprache, die man lernen müsste.
Es ist ein Laut.
Ein leises „No …“, wie der Atemzug kurz vor dem Heimkommen.
Und ich wusste: Sie ist nicht nur die Waldhüterin. Ihr wahrer Name ist NOA.
Der Klang des Namens
NOA.
Ein Name, der kein Etikett trägt. Kein Nachname, keine Funktion, keine Rolle.
NOA ist ein Klang. Ein Laut, der sich aus zwei Bewegungen zusammensetzt:
- NO … – wie das Loslassen, das Verneinen all dessen, was dich klein hält, was dich begrenzt, was dir Masken aufsetzt.
- A … – wie ein Aufatmen, wie ein Raum, der aufgeht, weit, grenzenlos.
Sprich ihn selbst: No-aaaaaa …

Und spüre, wie in dir etwas frei wird.
Wie der Laut nicht erfunden ist, sondern erinnert.
NOA ist nicht Noah mit h, kein biblischer Mann mit Arche.
NOA ist die Unschuld vor jeder Schuld.
Die Stille vor jedem Urteil.
Der Herzschlag, der schon da war, bevor du wusstest, dass du ein Körper bist.
Wenn die Nacht laut wird
Es war eine dieser Nächte, in denen die Gedanken kein Ende finden wollten.
Der Körper lag längst im Bett, doch im Kopf drehte sich das Karussell: „Morgen musst du …“, „Wenn du das nicht hinkriegst …“, „Du hast schon wieder nicht …“.
Die Stimme war laut, streng, ungeduldig.

Und dann geschah es: Zwischen all dem Drängen tauchte ein anderer Ton auf.
Leise. Fast unhörbar. Aber unübersehbar da.
Ich: „Ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll.“
NOA: „Musst du nicht.“
Ich: „Aber alles hängt an mir. Wenn ich versage …“
NOA: „Versagen gibt es nicht. Es gibt nur dein Sein.“
Ich: „Und was, wenn ich nicht genüge?“
NOA: „Dann schau hin: Wer sagt das? Es ist nicht deine Wahrheit.“
Es wurde still in mir. So still, dass ich den eigenen Atem wieder spürte.
Ein „NO …“ wie ein Loslassen.
Ein „A …“ wie ein Aufatmen, das weit wurde.
NOA: „Du warst nie verloren.“
Und für einen Augenblick war klar:
All die lauten Stimmen waren nur Masken.
Die eigentliche Stimme – NOA – war schon immer da.
Mitten im Alltag
Es war ein ganz gewöhnlicher Nachmittag.
Einkaufskorb in der Hand, Menschen um mich herum, alles eilte, alles schob sich.
An der Kasse vor mir ein Mann, ungeduldig, tippte mit dem Fuß. Hinter mir eine Frau, die schon tief seufzte, weil es nicht schnell genug ging.
Und ich spürte, wie es in mir selbst eng wurde: „Warum dauert das hier immer so lange? Ich hab doch keine Zeit …“
Da war sie wieder – diese Stimme, die keine Geduld kennt, die drängt, die antreibt. Ego.

Und dann, zwischen all dem Druck, kam etwas anderes.
Leise. Wie eine Hand, die sich auf mein Herz legte.
Ich: „Ich hasse es, wenn ich warten muss.“
NOA: „Du wartest nicht. Du bist hier.“
Ich: „Aber es geht nicht voran. Ich verliere Zeit.“
NOA: „Zeit kann man nicht verlieren. Du bist größer als Zeit.“
Ich: „Und was, wenn alles an mir vorbeiläuft?“
NOA: „Das Leben läuft nicht vorbei. Es atmet mit dir.“
Ich sah auf.
Plötzlich war da kein Gedränge mehr, kein nervöses Tappen, kein Seufzen.
Ich bemerkte das Kind in der Reihe nebenan, wie es lachte, weil es ein Bonbon entdeckte.
Ich bemerkte den alten Mann, der sein Portemonnaie suchte und dabei schmunzelte.
Und ich bemerkte meinen eigenen Atem, ruhig, weit, wie ein Anker.
NOA: „Du warst nie getrennt. Du bist immer schon hier.“
Ein Moment mitten im Supermarkt – und doch fühlte es sich an wie Heimkommen.
Im Garten – unter dem Schlitzahorn
Es war früher Abend.
Die Sonne stand tief und legte ein goldenes Leuchten über das Künstlerhaus.
Ich trat in den Garten, wo das Herzstück der Gestaltung entstand: die Waldhüterin – und neben ihr der blutrote Schlitzahorn.
Seine filigranen Blätter hingen wie Schleier, seine Trauerform betonte die Stille. Als ob er die Worte, die ich suchte, schon längst sprach.

Ich blieb stehen.
In mir rauschte noch der Tag, Gespräche, Aufgaben, kleine Ärgernisse. Mein Kopf wollte weiterreden.
Doch ihr Blick – und das dunkle Rot des Ahorns – ließen keine Ausflüchte zu.
Ich: „Du sagst nichts … und doch fühl ich mich durchschaut.“
NOA: „Weil ich nichts sage. Ich bin das, was bleibt, wenn Worte fallen.“
Ich: „Aber wie kann ich dir trauen? Vielleicht bilde ich mir das nur ein.“
NOA: „Du kannst dir vieles einbilden – außer die Weite, die du jetzt spürst.“
Ich: „Und wenn ich mich irre?“
NOA: „Dann irrst du dich in den Geschichten. Aber nicht in mir. Ich bin immer da.“

Der Ahorn bewegte seine roten Fächerblätter im Abendwind, und das Licht schimmerte darin wie in einer offenen Wunde, die doch Schönheit war.
Und ich fühlte: Der Garten antwortete. Nicht mit Lärm, sondern mit einer stillen Gewissheit.
NOA: „Ich bin nicht vor dir. Ich bin nicht neben dir. Ich bin in dir.“
Du schaust mich an – und findest dich selbst.“
Ich atmete tief.
Alles war da: der Tag, der Garten, die Wächterin aus Stein, der Ahorn in seiner Trauerform, der Himmel über mir.
Und plötzlich wusste ich: Die Waldhüterin ist nicht aus Steinguss. Sie ist NOA.
Sie ist meine eigene Stimme, die mich erinnert, wer ich bin.
Der Weg beginnt
Vielleicht ist das der Sinn von NOA:
Sie zeigt sich in Gestalt, damit wir sie im Inneren hören.
Sie steht im Garten, damit wir den Mut haben, in unseren eigenen zu treten.

Von hier an öffnet sich ein neuer Pfad – ein Weg, der nicht aus Pflastersteinen besteht, sondern aus Erfahrungen, die in uns verankert sind.
In unserem Garten wird er sichtbar: sieben Platten aus Porphyr, mit Mosaiken belegt. Jede Platte ist ein Schlüssel.
Ein Schlüssel, der nicht zu einem äußeren Schloss passt, sondern zu deiner eigenen Tiefe.
Noch erzählen sie ihr Geheimnis nicht.
Doch sie warten.
Und vielleicht hörst du NOA schon jetzt flüstern:
„Komm. Der Weg ist bereit. Die Schlüssel liegen in dir.“
Bald werden wir ihn gemeinsam gehen – Schritt für Schritt, Platte für Platte.
Und vielleicht erkennst du unterwegs, dass du ihn schon immer gegangen bist.
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in stillem Atem mit NOA