Warum Fühlen der Schlüssel ist
Die Schwelle zum Fühlen
Der Morgen lag still über dem Garten. Tau glitzerte auf den weißen Steinen, und die dritte Mosaikplatte funkelte in allen Farben – rot, grün, blau, bernstein.
Ich stand davor und spürte, wie in mir etwas zu brodeln begann. Eine Welle aus Ärger, Unruhe, vielleicht auch Enttäuschung.

Noch vor wenigen Sekunden hatte ich innerlich geurteilt: „Der hat mich verletzt, die Situation ist schuld.“
Doch diesmal blieb ich stehen.
Ich sagte nicht: „Was soll das?“
Ich sagte: „Stopp.“
Ein Atemzug.
Ein Blick nach innen.
Etwas in mir bewegt sich.
Hier beginnt die dritte Platte.
Wendepunkt – Der Mut, nicht wegzulaufen
Ich spürte das Ziehen in der Brust, Hitze in den Wangen, Druck im Hals.
Das Gefühl kam nicht schleichend – es war da, roh, ehrlich, ungeschönt.
Ich wollte weglaufen, mich ablenken, irgendetwas tun, um es loszuwerden.
Doch diesmal blieb ich.
Ich fühlte.
Nicht abstrakt, nicht als Wort, sondern als Körperempfindung.
Ich fühlte mich unterdrückt.
Ich fühlte mich übersehen.
Ich fühlte mich erniedrigt, genervt, leer, ohnmächtig, ungeduldig.
Nichts davon war angenehm.

Aber jedes dieser Gefühle war echt.
Und indem ich sie nicht länger in Gut und Böse teilte, begann ich, sie wirklich zu spüren – ohne Erklärung, ohne Analyse.
Ich ließ sie einfach da sein.
Wie eine Welle, die über mich rollt und mich nicht mehr ertränkt.
Das Gefühl – der wahre Schlüssel
Je tiefer ich fühlte, desto klarer wurde mir:
Dieses Gefühl ist kein Feind.
Es ist ein Wegweiser.
Es zeigt mir, dass etwas in mir berührt wurde – eine unbewusste Wahrheit, ein Gedanke über mich selbst, der im Dunkeln wirkt.

Noch weiß ich nicht, welcher.
Doch ich spüre: Er ist da.
Darum bleibe ich.
Ich lasse das Gefühl mich führen – durch seine Schwere, durch sein Brennen, durch seine Stille.
Ich will es nicht wegerklären, ich will es erleben.
Denn nur, was ich ganz fühle, kann sich irgendwann verwandeln.
Nachklang – Die Platte des Lebens
Als das Gefühl langsam ausklingt, merke ich:
Ich lebe noch.
Ich atme.
Das Gefühl hat mich nicht zerstört – es hat mich berührt.
Zum ersten Mal seit Langem bin ich wirklich da, ganz da.
Und ich beginne zu verstehen:
Ein Gefühl ist kein Zufall, kein Nebel, der kommt und geht.
Ein Gefühl ist geformtes Denken.
Es zeigt mir, was ich über mich glaube.
Jedes Gefühl ist ein Gedanke, der Fleisch geworden ist –
ein inneres Urteil, das mein Körper hörbar macht.
Wenn ich mich klein, ohnmächtig oder übersehen fühle,
dann nicht, weil jemand im Außen mir das zufügt,
sondern weil mein eigener Geist mir dieses Bild von mir zeichnet.
Das Gefühl ist die Sprache meines Innersten.

Es malt mir auf, wie ich mich selbst sehe,
wie ich das Leben betrachte,
welchen Schmerz ich in mir konstruiere.
Darum ist Fühlen kein Umweg, sondern der direkteste Zugang zu mir.
Denn wenn ich nicht fühle, erkenne ich mich nicht.
Nur wer fühlt, sieht sich.
Und vielleicht ist das größte Wunder,
dass aus einem Tränenmeer plötzlich ein Regenbogen entsteht. 🌈
Brücke zur vierten Platte – Die Erinnerung
Wenn du das Gefühl wirklich geehrt hast –
wenn du es nicht weggedrückt, sondern durch dich hindurch gefühlt hast –,
öffnet sich eine neue Türe.
Noch nicht die der Erkenntnis,
sondern die der Erinnerung.
Denn dieses Gefühl, das du jetzt spürst,
ist nicht neu.
Es hat eine Geschichte.
Es hat dich dein ganzes Leben begleitet –
verkleidet in vielen Formen,
doch immer mit derselben Schwingung.
Und nun ruft es dich zurück zu seinem Anfang.
Mit der vierten Platte betrittst du den Raum deiner Kindheit –
jene erste Szene,
in der du dich genau so gefühlt hast wie jetzt.
Vielleicht war es ein Blick,
ein Wort,
ein Moment, in dem du dachtest, du müsstest etwas sein,
damit Liebe bleibt.
Hier beginnt das Erinnern –
nicht im Kopf, sondern im Herzen.
Du gehst nicht zurück, um zu leiden,
sondern um zu verstehen.
Um zu erkennen, wo das Gefühl geboren wurde,
das dich bis heute begleitet.
Denn wenn du diesen Ursprung wiederfindest,
öffnet sich die nächste Türe –
die fünfte Platte.
Dort wartet die Erkenntnis dessen,
was du damals über dich geglaubt hast.
…
